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Stellungnahme zum Ratgeber “Über Sexualität reden… Zwischen Einschulung und Pubertät” der BZgA

Wir müssen reden! Immer häufiger liest man in der deutschen Presse von sog. Erkundungsräumen oder von Masturbationszonen. Nicht etwa für Erwachsene – nein, für Kleinstkinder in frühkindlichen Betreuungseinrichtungen. Sog. sexualpädagogische Konzepte, die sich längst auf den Weg in deutsche Kitas gemacht haben. Kitas, die eigentlich Kompetenz- und Schutzorte für besonders schutzbedürftige junge Menschen sein sollen. Kleinstkinder.
 
Farbenfrohe Heftchen von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) liegen dort aus und werden von pädagogischen Fachkräften an Eltern verteilt. Liest man sich ein, stößt man bereits auf den ersten Seiten auf irritierend verunglückte, fast schon päderastisch anmutende Formulierungen: „Bereits Säuglinge machen erste körperliche Lusterfahrungen in Form von Lutschen und Saugen. Der Mund dient nicht nur der Nahrungsaufnahme und Welterkundung, sondern ist die erste erogene Zone, die Babys entdecken.“
 
Als Kinderschutzexpertin und Vorständin einer bundesweit aktiven Kinderschutzorganisation bin ich entsetzt und alarmiert darüber, dass sich die Wahrnehmung unserer deutschen Gesellschaft auf Kinder gefährlich zu verschieben droht.
 
Wie können Kinder in einer Gesellschaft sicher vor sexuellen Übergriffen, sexualisierter Gewalt und pornografischer Ausbeutung aufwachsen, wenn diese Gesellschaft sie maximal sexualisiert? Das ist absurd und verantwortungslos. Und genau deshalb habe ich am 07.02.2024 eine entsprechende Stellungnahme an die BZgA formuliert.

Update vom 28.02.2024:
Antwort der BZgA auf NLD! Stellungnahme vom 07.02.2024

“Sehr geehrte Frau Barbaric,

vielen Dank für Ihre Stellungnahme, die wir gerne wie folgt beantworten.

Auf Basis des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) entwickelt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Medien und Materialien zur Sexualaufklärung und Familienplanung für verschiedene Zielgruppen und stellt diese als kostenfreie und freiwillige Angebote zur Verfügung. Grundlage bildet dabei ein Verständnis von Sexualität und ganzheitlicher Sexualaufklärung, die auch von der WHO vertreten wird. WHO und BZgA definieren Sexualität als einen zentralen Aspekt des Menschseins über die gesamte Lebensspanne hinweg. Sexualität entwickelt sich nach diesem Verständnis von Geburt an bis ins hohe Alter. Sexualität umfasst dabei sowohl biologische als auch psychosoziale und emotionale Dimensionen wie Zärtlichkeit, Geborgenheit, Körperwahrnehmung oder Gefühle.

Dabei ist es unbedingt erforderlich, die Ausdrucksformen der sexuellen Entwicklung bei Kindern von der erwachsenen Sexualität strikt abzugrenzen. So ist kindliche Sexualität u. a. gekennzeichnet durch Spontanität, Neugier und Unbefangenheit im Erleben und Entdecken des Körpers. Kinder ordnen solche Aktivitäten nicht als sexuell im Sinne Erwachsener ein. Kindliche Sexualität entwickelt sich wesentlich im nicht-sexuellen Bereich. Sie ist nicht zielgerichtet und hat auch nichts mit dem sexuellen Erleben Erwachsener zu tun. Das Wissen über diese Unterschiede ist notwendig, um eine klare Trennung zwischen kindlicher und erwachsener Sexualität vorzunehmen. Nur so kann gewährleistet werden, dass Kindern der nötige Raum für ihre psychosexuelle Entwicklung gegeben und gleichzeitig der unabdingbare Schutz vor sexualisierter Gewalt gewahrt wird.

Ganzheitliche Sexualaufklärung in diesem Sinne kann so auch zum notwendigen Schutz vor sexualisierter Gewalt beitragen. Durch eine altersgemäße und entwicklungsbegleitende Unterstützung können Mädchen und Jungen zu starken und selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen, die ihren Körper wertschätzen, Sexualität und Beziehungen selbstbestimmt und verantwortlich leben können, eigene Grenzen und die des anderen kennen und respektieren. Sexualaufklärung hat – neben einer aufklärenden Funktion – somit auch eine Kinderschutzfunktion. Denn Sexualaufklärung und Prävention von sexualisierter Gewalt sind wichtige Erziehungsaufgaben, die zu einer gesunden Entwicklung von Kindern beitragen und eng miteinander in Beziehung stehen. Kinder, die einen wertschätzenden und achtsamen Umgang mit Liebe, Körper und Beziehungen in ihrem direkten Umfeld – sei es Familie, Kindertagesstätte oder Schule – erfahren und über eine Sprache zu Körpervorgängen, Geschlechtsorganen und Sexualität verfügen, sind weniger gefährdet und können eher von Grenzüberschreitungen berichten und sich jemandem anvertrauen.

Wenn Formulierungen in den Materialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung entgegen unserer Intention missverständlich aufgefasst werden, bedauern wir dies und nehmen es sehr ernst. Die Broschüren zur Sexualaufklärung werden vor Veröffentlichung wie auch im Zuge anstehender Neuauflagen fachlichen Prüfungen unterzogen. So können Aktualisierungsbedarfe und eventuell erforderliche Anpassungen identifiziert und umgesetzt werden.

Wir hoffen, dass wir zur Klärung möglicher Missverständnisse beitragen konnten.

Mit freundlichen Grüßen

Das Team Sexualaufklärung der BZgA

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung”

Update vom 29.02.2024:
Unsere Antwort

Guten Tag,

offen gesprochen irritiert mich Ihr Antwortschreiben auf unsere Stellungnahme.

Nicht mal ein konkreter Ansprechpartner?!

Zudem: Sie sind auf keinen Punkt aus unserer Stellungnahme explizit eingegangen.

Einer unserer vielen Fragen war, wieso fast identische Sätze Helmut Kentlers in Publikationen der BZgA nachzulesen sind.
Darauf sind Sie nicht ansatzweise eingegangen.

Stattdessen schreiben Sie:

“Dabei ist es unbedingt erforderlich, die Ausdrucksformen der sexuellen Entwicklung bei Kindern von der erwachsenen Sexualität strikt abzugrenzen.”

Tun Sie nicht! Denn das Wording ist entscheidend, und das Wording der BZgA sexualisiert Kinder maximal und kann sehr wohl als Aufforderung zum sexuellen Missbrauch verstanden werden. Da hilft es eben auch nicht, im nächsten Satz darauf hinzuweisen, dass kindliche Sexualität nicht zielgerichtet ist und auch nichts mit dem sexuellen Erleben Erwachsener zu tun hat. Denn das Wording der BZgA ist zweideutig und zieht keine klare Grenze, zwischen dem was gemeint ist und dem was verboten ist.

Woher nimmt die BZgA das Wissen darüber, dass Kinder von Geburt an sexuelle Wesen sein sollen?

Aus welcher wissenschaftlich sauberen belegbaren Arbeit / Forschung kommt die Annahme über “Kinder sind sexuelle Wesen von Geburt an”.

Das war eine zentrale These Helmut Kentlers. Bitte erklären Sie, wie es sein kann, dass diese zentrale These Kentlers in Publikationen der BZgA nachzulesen sind.

Ihre Rückmeldung wird bis zum 07.03.2024 erwartet.

Vielen Dank & freundliche Grüße,
Josefine Barbaric

Update vom 14.03.2024:
Antwort der BZgA

“Sehr geehrte Frau Barbaric,
vielen Dank für Ihre Mails.
Bei den Elternratgebern beziehen wir uns nicht auf Formulierungen von
Helmut Kentler. Die Inhalte der Sexualaufklärung der BZgA – insbesondere
die zur frühen Kindheit – beruhen auf den Forschungen und Erkenntnissen
von Expertinnen und Experten wie u. a. Bettina Schuhrke, deren
Forschungsschwerpunkt die psychosexuelle Entwicklung des Kindes,
Körperscham und familiale Schamregeln war, Renate Volbert, die eine
entwicklungspsychologische Studie zu altersgemäßem Sexualwissen von 2 bis
6-jährigen Kindern durchführte, oder dem Hamburger Sexualwissenschaftler
Gunter Schmidt. Er konstatierte, dass die sexuelle Entwicklung und
Sozialisation sich weitgehend in nicht-sexuellen Bereichen vollziehen,
nämlich den individuellen Erfahrungen eines Menschen mit seinen
Bedürfnissen, mit dem Körper, mit Beziehungen und Geschlecht. Die
Publikationen dieser Expertinnen und Experten geben den nach wie vor
aktuellen Erkenntnisstand wieder, dass die kindliche körperliche und
psychosexuelle Entwicklung ein ganzheitlicher Prozess ist, der schon in
früher Kindheit startet. Dieses ganzheitliche Verständnis von Sexualität
findet sich zudem in der Definition von Sexualität der WHO. Geteilt wird
es auch von Fachberatungsstellen gegen sexuellen Missbrauch wie z.B.
Zartbitter e.V., Kinderschutzorganisationen oder Jörg Maywald von der
Deutschen Liga für das Kind.
Es ist wissenschaftlicher und fachlicher Konsens, dass sich die
psychosexuelle Entwicklung eines Menschen über die gesamte Lebensspanne
hin erstreckt und vielfältige Facetten zeigt. Sexualität entwickelt sich
und ist eingebettet in vielfältige andere Erfahrungsbereiche. Die
Ausdruckformen kindlicher Sexualität – wie bereits ausgeführt – dürfen
jedoch keinesfalls aus Erwachsenenperspektive interpretiert oder gar
missbraucht werden. Unser Verständnis von Sexualität und Sexualerziehung
können Sie zudem unserem mit allen Bundesländern abgestimmten
Rahmenkonzept zur Sexualaufklärung entnehmen.
Die psychosexuelle Entwicklung eines Menschen umfasst körperliche,
emotionale und zwischenmenschliche Aspekte, aber auch Aspekte wie
Freundschaft, Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit. Sie ist in Phasen
unterteilt, die aufeinander aufbauen, sich aber deutlich voneinander
unterscheiden. In der Phase der Kindheit spielen dabei vor allem
nicht-sexuelle Erfahrungen wie u. a. Zuwendung, Nähe, Geborgenheit,
Zärtlichkeit, Bindung sowie Entdeckerfreude und Entwicklung des eigenen
Körpergefühls eine Rolle. Das alles bildet das Fundament für die
schrittweise Entwicklung hin zur Sexualität und Beziehungsfähigkeit im
Erwachsenenalter. Mit entwicklungsgemäßen positiven und geschützten
Erfahrungen sowie einer respektvollen wie liebevollen Begleitung in diesen
ersten Phasen auf emotionaler und körperlicher Ebene kann ein Kind später
eine positive, vertrauensvolle und selbstbestimmte Sexualität im
Erwachsenenalter entwickeln. Und es ist dann auch eher in der Lage,
grenzüberschreitende Situationen einzuschätzen und sich bei
Grenzüberschreitungen Hilfe zu holen, wobei die Verantwortung für die
Einhaltung von Grenzen nie beim Kind, sondern immer bei den Erwachsenen
liegt.
Auf dieser Grundlage distanzieren wir uns eindeutig von Helmut Kentler.
Unsere Materialien der Sexualaufklärung untermauern wir mit den oben
genannten wissenschaftlichen Grundlagen. Aufgaben der BZgA sind sowohl die
gesetzlich beauftragte Sexualaufklärung und Familienplanung als auch die
Prävention des sexuellen Missbrauchs. Beide Bereiche sind untrennbar
miteinander verknüpft und dienen nicht zuletzt dem Schutz des Kindes.
Um jedoch weiteren unbeabsichtigten Missverständnissen vorzubeugen, werden
wir bei den anstehenden Nachdrucken noch stärker darauf achten, sensibler
und achtsamer zu formulieren.
Bei weiteren Fragen stehen wir gerne für einen telefonischen Austausch zur
Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
im Auftrag

Referatsleiterin
Ref. S1 Sexualaufklärung”

Update vom 18.03.2024:
Unsere Antwort

Liebe Frau [Name nicht veröffentlicht],

unser aktuelles Anschreiben entnehmen Sie bitte aus dem Anhang.

Kommunikation ist ein so starkes Instrument.
Es ist allerdings ungeschickt, wenn in zwei Antwortschreiben aus Ihrem Hause, weder konkrete Antworten auf viele offene Fragen gegeben werden, zudem wortgleiche Formulierungen in beiden Antwortschreiben wiederfinden.

Dann erweckt das möglicherweise den Eindruck von Ideenlosigkeit oder Überforderung.

Darum möchte ich Sie nun inständig bitten, konkret und sachlich auf unsere Vorwürfe und Fragen einzugehen.

Vielen Dank & freundliche Grüße aus Salach,
Josefine Barbaric

Foto: © bongkarn via stock.adobe.com